Begründung der Jury
Zwölf Kurzfilme die OrganisatorInnen von Pink Apple haben ein dichtes und abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Der Begriff Kurzfilm tönt zunächst einmal überschaubar, bedeutet letztlich aber nichts anderes, als die beschränkte Dauer einer Filmeinheit. Hinter dieser Bezeichnung verstecken sich ganz unterschiedliche Gattungen, Genres, Erzählungen und Techniken der Darstellung. Wie soll man diese Vielfalt bewerten? Die Jury stand vor einer nicht ganz einfachen Aufgabe.
In unserer Diskussion haben sich unter den zwölf Kanditaten jedoch sehr schnell drei Favoriten herauskristallisiert. Dies aufgrund ihrer herausragenden ästhetischen und auch inhaltlichen Qualitäten. Über «John and Michael», «Peace Talk» und «A Girl Named Kai» diskutierten wir ausgiebig. Wir waren uns darüber einig, dass alle drei Filme zwei ganz wichtige Kriterien erfüllt haben: Sie gehen inhaltlich über das gut Gemeinte hinaus und warfen relevante Fragen auf, was Geschlecht, Sexualität und unser Leben als gleichgeschlechtliche Menschen anbelangt. Sie sind aber auch als Kunstwerk interessant, das heisst, sie setzen das Medium Film so ein, dass wir zu spannenden neuen und gar überraschenden Einsichten gelangen.
Am Schluss hat jedoch vor allem unser Herz entschieden. Den Preis des Pink Apple Kurzfilmwettbewerbs 2006 und damit die Fr. 2000.- verleihen wir dem kanadischen Animationsfilm «John and Michael», respektive der Regisseurin Shira Avni. Shira Avni ist 1974 in Israel geboren und wuchs in Montreal auf. Die Ausbildung zur Filmemacherin erhielt sie in Montreal und der School of the Art Institute of Chicago.
Ihr Film «John and Michael» überzeugt uns in ganz unterschiedlichen Punkten:
«John and Michael» schafft mit seiner Technik des Live-Drawings eine eigenständige Bildsprache. Sowohl die Figuren, als auch die in warmen Brauntönen gehaltene Filmwelt schaffen eine besondere Atmosphäre, in der sich die Geschichte des ungleichen Liebespaares entwickelt. Das Gewitter, der Regen und damit die erste Annäherung beider Figuren beispielsweise werden in einer unglaublichen Intensität gezeichnet, die niemanden unberührt lässt. Der Film überzeugt zunächst einmal auf einer hervorragenden visuellen Ebene.
Vielleicht streifen sowohl die Geschichte als auch die kindliche Erzählweise die Grenze zum Kitsch. Dennoch ist der Ton immer ehrlich, die Emotionen sind direkt und wirken niemals verstellt oder gar peinlich. In ganz einfacher und selbstverständlicher Art wirft «John and Michael» existenzielle Fragen zu den Themen Liebe, Tod, verspielter Freude und plötzlicher Trauer auf.
Die vordergründigen Leichtigkeit und der Unbeschwertheit von «John and Michael» erweitert sich jedoch um komplexere Fragestellungen. Dies hängt unmittelbar mit der Erzählstimme zusammen. Sie ist nicht immer verständlich, tönt zeitweise etwas gemurmelt und lässt sich nur schwer zuordnen. Wer die Filmbeschreibung im Pink Apple Programm nicht gelesen hat, mag irritiert sein: Wessen Geschichte wird erzählt? Wer spricht? Wer sind John und Michael? Mit dem Hinweis, dass es sich bei der Erzählstimme um eine behinderte Person handelt und beim Liebespaar um zwei Männer mit Down-Syndrom entblättert sich schliesslich eine weitere Leseart: So konfrontiert uns die scheinbar unbeschwerte kleine Erzählung mit der Frage nach Liebe und Sexualität in gleichgeschlechtlichen Beziehung von geistig Behinderten und vor allem mit der Vorstellung, die wir als ZuschauerInnen haben, wenn wir nicht behindert sind
Wir gratulieren Shira Avni ganz herzlich zu dieser Arbeit und freuen uns, ihr den Preis übergeben zu dürfen.
Mitglieder der Jury:
Jen Haas, Filmjournalist
Marille Hahne, Professorin an der HGKZ, Studiengang Film
Nicole Müller, Schriftstellerin
Florian Peter, Schriftsteller